Abitur, Studium, CEO – und das möglichst bis Mitte 30 erreicht haben. Die Karriereleiter, die Menschen bis zu einem bestimmten Alter erklommen haben sollten, wird immer steiler. Und immer früher gilt: Höher, weiter, schneller. Doch ist eine Karriere im höheren Alter von Nachteil oder nur schwer möglich? Weit gefehlt, denn viele sehr erfolgreiche Menschen sind „Late Bloomer“. Und das „Spätzünden“ hat einige Vorteile.
Früher war es üblich, eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren und diese erlernte berufliche Tätigkeit in mittelmäßigem Karriereschritt-Tempo linear bis zur Rente auszuüben. Durch den rasanten technischen Wandel und stetige Veränderungen von Jobprofilen ist eine hohe Flexibilität und ständige Anpassung der Fähigkeiten erforderlich. Außerdem ist die Fluktuation höher und Jobs werden längst nicht mehr so lange besetzt wie früher. Diese generellen Entwicklungen ziehen sich quer durch alle Generationen.
Trend: Geringere Bindung an Unternehmen und häufigere Jobwechsel
Betrachtet man die jüngeren Generationen, so lässt sich feststellen, dass deren Bindung an Unternehmen geringer ist als dies bei vorherigen Generationen der Fall war.
Die Auswirkungen der Wanderbereitschaft in der Generation der unter 35-jährigen sind recht hoch. Unter anderem stoßen durch den Fachkräftemangel junge Arbeitnehmer heute auf eine Fülle attraktiver Alternativen zu ihrem derzeitigen Job und fühlen sich ermutigt, ständig auf der Suche nach einem besseren Angebot zu sein.
Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass ein hoher Einarbeitungsaufwand bei kurzer Verweildauer den wichtigsten Erfolgsfaktor – den Mitarbeiter – der Unternehmen deutlich verteuert. Hinzu kommen steigende Gehälter angesichts des zunehmend knappen Angebots an qualifizierten Arbeitskräften.
Eine hohe Fluktuationsquote bringt etliche Nachteile mit sich: Von der Unruhe im Betrieb über Einbußen, wenn die Arbeitskraft nicht schnell angemessen ersetzt werden kann, bis hin zu Kosten für Suche und Einarbeitung.
Gleichzeitig suchen viele Arbeitnehmer neben guten Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten heute eine Tätigkeit, die sie erfüllt. Und das braucht Zeit. Mit 20 Jahren ist es schwieriger, zu wissen, welche Arbeit die Erfüllung bietet, wenn man sich nach der Schule oder im Studium orientiert. Früher wurde der Job oftmals nicht im Hinblick auf Erfüllung hinterfragt, sondern diente in erster Linie der Zweckerfüllung. Heute kommt es häufig zu einer Umorientierung oder Weiterentwicklung in einem anderen Unternehmen. So investieren viele Arbeitgeber in junge Fachkräfte und verlieren diese eventuell wieder.
Bestimmte Fähigkeiten werden erst mit zunehmendem Alter entwickelt
Dadurch, dass heute eine Umorientierung recht einfach ist, haben auch ältere Arbeitnehmer den Mut, ihren Job noch zu wechseln. Der Vorteil: Sie hatten jahrelang Zeit, sich Wissen anzueignen und können Stärken sowie Schwächen einschätzen. Und sie wissen, was sie wollen. Daraus lässt sich schließen, dass eine Umorientierung gut durchdacht ist und dieser Mitarbeiter beständig ist und längerfristig im Unternehmen verbleibt.
Zudem eignet sich ein Mitarbeiter mit vielen Jahren Erfahrung oft gut für einen Führungsjob, denn unter anderem nimmt die kristalline Intelligenz im Alter zu. Diese wird durch Menschenkenntnis und Allgemeinwissen charakterisiert. Forschungen zeigen, dass sich zahlreiche kognitive Fähigkeiten erst im fortgeschrittenen Alter entwickeln. Dazu zählen auch Unternehmens- und Teamführungsqualitäten. Die sogenannten „Late Bloomer“ bringen die Fähigkeiten bereits mit, während viele junge Menschen diese erst erlernen müssen. Ergo: Für manche Tätigkeiten verfügen Menschen mit Mitte 20 schlichtweg noch nicht über die ausreichende Erfahrung.
„Late Bloomer“ nehmen sich Zeit für ihren Erfolg
Den eigenen Weg im eigenen Tempo gehen, das zeichnet Late Bloomer aus. So haben es einige Größen aus Wirtschaft und Politik vorgemacht. In vielen Themengebieten, beispielsweise in der Forschung oder Medizin, braucht es Zeit, Wissen und Erfahrung, um etwas neues Bahnbrechendes zu erfinden oder zu entwickeln.
So haben beispielsweise Şahin und seine Frau Özlem Türeci, die Gründer und Chefs von Biontech, jahrelange Forschung betrieben und diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass sie erfolgreich einen wirksamen Impfstoff in kürzester Zeit geschaffen haben. Ohne jahrelange Erfahrung und Forschung wäre dies nicht möglich gewesen. So haben sie die Anwendung von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) zur Therapie und Verbeugung zahlreicher Krankheiten bereits seit 2008 untersucht.
„Durchstarten“ ist nicht jungen Menschen vorbehalten und muss nicht linear verlaufen, denn es hat viele Vorteile, seine bisherige Zeit für Orientierungen und Erfahrungssammlung genutzt zu haben. Spätzünder waren in der Regel in verschiedenen Jobs tätig und wissen, was sie können – und wollen. Damit haben sie gegenüber vielen jüngeren Generationen Vorteile und einen Vorsprung.