Internetzensur – ein Verstoß gegen Menschenrechte?

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In den vergangenen Jahren ist das Internet immer häufiger von Regierungen abgeschaltet worden, beispielsweise während Wahlen, Protesten oder bewaffneten Ausschreitungen. Ist das überhaupt legitim? Und wie steht es um die Menschenrechte im digitalen Zeitalter?

Wenn im Internet plötzlich die Lichter ausgehen: In Belarus saßen jüngst zahlreiche Menschen während der Präsidentschaftswahl vor ihrem Rechner und hatten keinen Zugriff mehr auf das World Wide Web. Denn dieses wurde seitens der Regierung über einen längeren Zeitraum eingeschränkt. Gegen 3 Uhr morgens am Wahlsonntag gab es erste Verbindungs-Störungen – zu dem Zeitpunkt hauptsächlich in der Hauptstadt Minsk. Etwas später, mit der Öffnung der Wahllokale, waren immer mehr Internet-Seiten nicht mehr erreichbar. Als die Wahllokale um 20 Uhr schlossen, hatte sich die Störung auf ganz Belarus ausgeweitet.

Dies ist kein Einzelfall: im Jahr 2019 hat die Menschenrechts-Organisation Access Now Internet-Shutdowns in 35 Ländern beobachtet. Menschenrechtler sind sich einig: Die Bürger werden damit ihrer Rechte beraubt. Regierungen nutzen gemäß den Experten den sogenannten „Internet Kill Switch“ besonders gerne, wenn sie ihre eigene Machtposition bedroht sehen. 

Das Internet bietet generell eine breite Fläche für Menschenrechtsver­letzungen. So könnte beispielsweise ein Überwachungsmechanismus oder eine flächendeckende Zensur von der Regierung eingesetzt werden – dies würde die Meinungsfreiheit maßgeblich einschränken.

Doch darf die Regierung einfach in die digitale Nutzung eingreifen? Für diese Eingriffe seitens des Staates – dazu gehört der Internetzugang als Teil der Meinungs- und Informationsfreiheit – gibt es völkerrechtliche Regeln. Diese besagen, dass getroffene Maßnahmen notwendig und verhältnismäßig zum Erreichen eines legitimen Zieles sein müssen. Aber, wer entscheidet, was verhältnismäßig ist?

Sind Menschenrechte klar definierbar?

Zum Schutz der Menschheit gilt seit 1948 die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ und ist ein weltweiter Handlungsmaßstab.In 30 Artikeln werden dabei die Rechte (z. B. auf Freiheit, auf Gleichheit, Asylrecht) und Grundpflichten jedes Menschen festgehalten. Dabei wird das Ideal verfolgt, dass alle Mitgliedsstaaten dem Menschen seine Rechte gewähren.

Einige der Menschenrechte stehen allerdings in Konflikt miteinander – somit sind sie nie uneingeschränkt und absolut durchsetzbar. Amnesty International beschreibt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als „dynamisches Dokument“. Beispielsweise gibt es in den Grundrechten die „Meinungsfreiheit“, ebenso aber die „Würde des Menschen“. Beides kann somit einen Konflikt hervorrufen, wenn ein Mensch eine Meinung äußert, diese aber die Würde des Gegenübers angreift. Daher ist eine gerechte Abwägung unbedingt notwendig.

Auch soziale, politische oder technologische Entwicklungen können den Zugang zu Informationen beeinflussen und beschränken.

Gibt es ein Recht auf Internetzugang?

Bisher ist der Zugang zum Internet kein klar definiertes Menschenrecht, dient aber zur Umsetzung vieler der in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ aufgeführten Artikel.

Bereits seit einigen Jahren kämpfen verschiedene Einrichtungen und Personen dafür, dass der uneingeschränkte Internetzugang ein Menschenrecht wird. So setzt sind beispielsweise der EU-Parlamentspräsident David Sassoli dafür ein und die Universität von Birmingham, die anhand einer Studie im Jahr 2019 zu dem Schluss kam, dass freies Internet als grundlegendes Menschenrecht wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit anerkannt werden sollte.

Gerade in abgelegenen Gegenden oder zu Zeiten der Corona-Pandemie erleichtert das Internet den Zugang zu Bildung, Informationen und Arbeit. Auch das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Artikel 20) kann durch das Internet pandemiekonform umgesetzt werden.  

Moralische Notwendigkeit statt überflüssigem Luxus-Gut

Menschenrechtler finden: Ein Internetzugang ist heute kein Luxus mehr, sondern eine moralische Notwenigkeit, denn insbesondere in der derzeitigen Pandemie-Zeit können die digitalen Medien Leben retten und ein Entzug dessen Menschenleben gefährden. Denn während einer Krise ist der schnelle Zugang zu verlässlichen Informationen lebenswichtig. Menschen befinden sich in Quarantäne und leben mit Ausgangsbeschränkungen, daher sind sie auf Informationen über das Internet angewiesen, um zeitnah über aktuelle Gesundheits­maßnahmen, Einschränkungen und Bestimmungen informiert zu sein. Damit schützen sie sich und andere.

Voraussetzung dafür ist ein immer verfügbarer Internetzugang in einem System, das keiner Zensur oder staatlicher Observation unterliegt. 

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